Eröffnungsrede KRP Peter Gut

 

Datum:    20. Februar 2017

 

 

Verhandlungen des Kantonsrates

 

an seiner Sitzung vom 20. Februar 2017 im Kantonsratssaal, Herisau

 

Beginn:

08.15 Uhr

 

Anwesend:

63 Mitglieder des Kantonsrates

5 Mitglieder des Regierungsrates

 

Entschuldigt:

Kantonsrat Edgar Bischof, Teufen (ganztags)

Kantonsrat Jürg Wickart, Walzenhausen (ganztags)

 

Vorsitz:

Kantonsratspräsident Peter Gut, Walzenhausen

 

Ratschreiber:

Roger Nobs

 

1. Eröffnung durch den Kantonsratspräsidenten

 

Kantonsratspräsident Peter Gut, Walzenhausen, eröffnet die Sitzung mit folgenden Worten:

 

Sehr geehrter Herr Landammann

Sehr geehrte Damen Kantonsrätinnen und Herren Kantonsräte

Geschätzte Frau Regierungsrätin und Herren Regierungsräte

Sehr geehrte Medienvertreter und Gäste

 

In meiner Rolle als Kantonsratspräsident nehme ich die aktuelle politische Situation im Kanton oder zumindest deren Nebengeräusche aufmerksam wahr. Ich versuche dabei, mögliche Warnsignale zu erkennen, die auf das Auftreten einer Krise hindeuten könnten. Die Frage lautet also, ob sich etwas so entwickelt, dass es schwer beherrschbar wird und damit die ordentliche Tätigkeit von Parlament, Regierung und Verwaltung behindern könnte. Ebenso nehme ich aufmerksam wahr, ob ein Sachverhalt den Argwohn der Medien auf sich zieht. Zuverlässiges Anzeichen für eine mögliche kritische Entwicklung ist das Feststellen von Zorn oder Wut in der Bevölkerung, welche dann wiederum in den Medien aufgegriffen werden.

 

Genauso wie nicht jede kritische Situation mit einer Krise gleichgesetzt werden darf, kann nicht ignoriert werden, dass eine Ansammlung kritischer Situationen schliesslich als Krise wahrgenommen wird. Diese kann kommunikativer Art sein, man nennt das dann einen Skandal. Sie kann aber auch operativ sein, dann spricht man von einer Störung.

 

Krisen verlangen nach Entscheidungen und Handlungen. Sie gehen einher mit einem Anstieg an Unsicherheit und dem Gefühl, etwas sei von prägendem Einfluss auf die Zukunft. Aus der Krisenbewältigung sind mehrere Merksätze bekannt. Vier davon möchte ich hier erwähnen:

 

«Handeln hilft gegen das Gefühl der Hilflosigkeit.»

«Information hilft gegen Fantasien.»

«Perspektive hilft gegen das Gefühl der Ausweglosigkeit »

«Ruhiges und sicheres Auftreten hilft gegen Angst und Aggression.»

 

In einem Artikel der Appenzeller Zeitung vom 11. Februar 2017 wird der Staatswirtschaftlichen Kommission (StwK) des Kantonsrates – ja dem Kantonsrat als Ganzem – die Kompetenz beziehungsweise die Fähigkeit abgesprochen, die Oberaufsicht im Zusammenhang mit der aktuellen Situation im Spitalverbund Appenzell Ausserrhoden (SVAR) angemessen wahrzunehmen. Die Funktionalität des Milizsystems wird bezweifelt. Angezweifelt wird auch die Fähigkeit des Kantonsrates, (Zitat) «Remedur zu schaffen» und die Schonklima-Komfortzone zu verlassen. Als Präsident des kritisierten Gremiums will ich mich zu diesen Einschätzungen äussern. Was eignet sich dazu besser, als die Eröffnungsrede einer Sitzung des Kantonsrates?

 

Beginnen möchte ich mit einem Dank an die Medienschaffenden. Ich bin der festen Überzeugung, dass in einer Demokratie, die diese Bezeichnung verdient, unabhängige, kritische Medien von zentraler Bedeutung sind. Dass dieser journalistische Auftrag in einem sich schnell verändernden Umfeld mit knapper werdenden Ressourcen erledigt werden muss, lässt die Herausforderung nicht kleiner werden. Sinkende Abonnementszahlen, das Bedürfnis nach mundgerecht verabreichter Information und die zunehmende Beliebtheit von sogenannten «alternativen Fakten» erzeugen mehr Druck. Es braucht Mut und Standhaftigkeit, sich selbst und dem journalistischen Ethos in einem solchen Umfeld treu zu bleiben und seine Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen auszuführen.

 

Aufgrund dieser Überlegungen nehme ich auch das in der Zeitung Geschriebene ernst. Und deshalb spüre ich eine Irritation. Der Ruf nach einer sogenannten unabhängigen Expertenkommission zum SVAR irritiert mich. Die Darstellung der vermeintlichen Überforderung der StwK irritiert mich. Am meisten irritiert mich aber die implizierte Vermutung, dass offenbar vieles falsch laufe im Parlament, in der Regierung, in der kantonalen Verwaltung und im Verwaltungsrat des SVAR. Geht es um Misswirtschaft, mangelhafte Amtsführung, Böswilligkeit, Interessenverflechtung, mangelnde Aufsicht und jetzt eben auch um mangelnde Oberaufsicht? Oder geht es einfach nur um Inkompetenz und Fahrlässigkeit? Auch wenn solches nicht ausdrücklich geschrieben worden ist, lassen die Forderung nach einer Expertenkommission und die negative Bewertung der Fähigkeiten der StwK und des Kantonsrates solche Vermutungen zu. Und die Vorstellung, dass z.B. die Redaktion der einzigen kantonsweit verbreiteten Zeitung von einem derartigen Misstrauen gegenüber staatlichen Behörden und Organisationen erfüllt ist, beunruhigt mich, beunruhigt mich zutiefst. Denn dies lässt den Schluss zu, dass es im Zusammenhang mit dem SVAR und möglicherweise als Nachwirkung von vergangenen Krisen oder früherem staatlichem Versagen offenbar mehrere kritische Faktoren gibt.

 

Es gibt eine Vertrauenskrise. Verdächtigungen und Spekulationen nähren das herrschende Misstrauen. Argumente aus Partikularinteressen und von Eigeninteresse bestimmte Theorien werden als Tatsachen präsentiert. Hegel hat einmal gesagt: «Wenn die Tatsachen nicht mit der Theorie übereinstimmen: umso schlimmer für die Tatsachen.» Es braucht also vertrauensbildende Massnahmen. Das auf der Website des Kantons jetzt aufgeschaltete Dossier zum SVAR ist dafür eine der geeigneten Massnahmen. Erlaubt sei die Anregung, dass es sicher hilfreich wäre, wenn dort auch einfache Zusammenfassungen zu finden wären, die auch für Laien einfach verständlich sind. Ebenso denke ich, dass die Presse und die Regierung einander wieder vermehrt mit gegenseitigem Respekt und auf Augenhöhe begegnen sollten. So kann eine Entkrampfung erreicht werden, die sich auch positiv in der Berichterstattung niederschlagen sollte. Und ich rede hier nicht von Zensur, auch nicht von Selbstzensur. Ich fordere alle Beteiligten auf, sich der Konsequenzen ihres Handelns bewusst zu sein. Denn wenn der SVAR eine Zukunft haben soll, braucht er vor allem eines: Patientinnen und Patienten. Und diese brauchen Vertrauen in die Funktionalität des Systems und in die Funktionalität der Berichterstattung über dieses System.

Es gibt aber auch eine Verständniskrise. Die vom Bundesparlament festgelegte Liberalisierung im Gesundheitswesen und in der Folge auch die kantonalen gesetzlichen Regelungen zum SVAR haben Zuständigkeiten, Funktionen, Kompetenzen und Verantwortungen radikal neu gestaltet. Die zumindest teilweise eingeführte Orientierung am marktwirtschaftlichen Denken zeigt jetzt ihre Konsequenzen. Das ist nicht einfach zu verstehen, die Materie ist äusserst komplex. Das erwähnte Dossier zum SVAR mag auch in dieser Beziehung einen Beitrag leisten. Das Büro des Kantonsrates engagiert sich mit Weiterbildungsveranstaltungen für die Mitglieder des Kantonsrates in der Vermittlung von Fachwissen. Die bald stattfindenden Fortbildungen sollen mithelfen, eventuelle Wissenslücken zu schliessen und so das Verständnis für die zu bewältigenden Aufgaben zu erhöhen.

 

Es gibt schliesslich auch eine kritische Situation für den Zusammenhalt des Kantons. Die vielen und zum Teil heftigen Reaktionen auf mögliche Angebotsanpassungen oder gar die befürchtete Schliessung des Spitals Heiden sind eindrücklich. Sie beschränken sich aber aktuell vor allem auf Reaktionen der betroffenen Berufsgruppen sowie auf jene der politischen Kreise und der Bevölkerung des Vorderlandes. «Heiden» ist aber kein Vorderländer Problem. Es darf den anderen Regionen nicht gleichgültig sein, was in Heiden passiert. Der Zusammenhalt des Kantons hat sich gerade in kritischen Situationen zu bewähren. Und die Situation in Heiden kann nur mit Unterstützung des ganzen Kantons stabilisiert werden. Regionales Denken wird der Sache nicht gerecht.

 

Wir haben also verschiedene kritische Situationen. Diese müssen bewältigt werden. Darum möchte ich abschliessend noch einmal auf die eingangs erwähnten Merksätze zur Krisenintervention zurückkommen und sie den verschiedenen Akteuren bei der Bearbeitung der erwähnten drei kritischen Situationen zu bedenken geben:

 

-«Handeln hilft gegen das Gefühl der Hilflosigkeit.»

-«Perspektive hilft gegen das Gefühl der Ausweglosigkeit »

-«Information hilft gegen Phantasien »

-«Ruhiges und sicheres Auftreten hilft gegen Angst und Aggression.»

 

Lassen Sie uns also gemeinsam diese anspruchsvolle Situation bewältigen, in den Ratssälen des Landes, in den Büros der Departemente, an den Sitzungstischen des Verwaltungsrates und nicht zuletzt auch an den Schreibtischen der Medienschaffenden. Mutig und voller Hoffnung, zum Wohl von Land und Leuten. Und erinnern wir uns dabei an die Worte von Leonard Cohen: «Hoffnung allein nützt nichts, es braucht Willen.». Es bleibt auch so noch schwer genug, sich von Meinungen zu verabschieden, bloss weil die Fakten dazu nicht stimmen.